Samstag, 22. Juni 2013

Heart-Rock Café



Es gibt ja viele Meilensteine im Leben eines Mannes. Ich sage das mit der Arroganz eines Mannes "mittleren Alters" (also irgendwas zwischen 40 und 50), der die eine oder andere dieser Stationen schon abgehakt hat. Sicherlich werden Männer "in den besten Jahren" (also irgendwas im "erektilen Dysfunktion-Alter") dem noch das eine oder andere hinzuzufügen haben, z.B. was es mit den "besten Jahren" so auf sich hat. Einige dieser Meilensteine im Leben eines Mannes erscheinen zum Zeitpunkt ihres Eintretens eher leise und klein.
Zum Beispiel das erste Mal ohne Stützräder auf dem Fahrrad zu fahren. Ich habe übrigens zu diesem Meilenstein in meinem damals noch jungen Leben meinen Vater  als "Arschloch" bezeichnet. Ich weiß nicht, zu welcher Art Mensch mich das nun macht, denn das war nun wirklich nicht sehr nett, aber ich fühlte mich im Recht. Schließlich verhinderte er nicht, dass ich nach erfolgreichem Absolvieren 200 Metern perfekter Balance mit meinem Drahtesel einfach so umfiel. Dabei war er doch nur 200 Meter entfernt und Väter haben für einen Sechsjährigen ja sowieso Superkräfte. Also zumindest der eigene. Also wäre es doch ein Leichtes gewesen, die Neigung des Fahrrades so zu korrigieren, dass mein Knie nicht den frischen Teer des Kimmeskampweges küssen musste. Nicht so für meinen Vater.
In meinem jungen Geist stellte sich also die Untätigkeit meines Vaters als reine Faulheit seinerseits dar und war er nicht Lehrbeauftragter für mein unfallfreies Fahrradfahren? Ich fand, dass er da mit einem "Arschloch" noch ziemlich gut bedient war, auch wenn dies die fast ultimative Beleidigung in meinem damals noch stark limitierten Schimpfwortschatz war. Schlimmer war vermutlich nur noch "Kackapipiarschsack", was aber nicht zuletzt aufgrund des beißenden Schmerzes in meinem linken Knie nicht wirklich rund von der Zunge gehen wollte. Wie gesagt vielleicht wäre es in dieser Situation auch eher mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Aber eigentlich wollte ich gar nicht über diesen Meilenstein sprechen.

Einschulung, der erste Sex (heutzutage übrigens gar nicht mehr zwingend in dieser Reihenfolge), das erste Mal "Star Wars" sehen, das erste Auto, Ausbildung oder Studium, berufliche Erfolge. Alles völlig irrelevant und nur Fußnoten im Leben eines Mannes. Auch wenn Fußnoten sicherlich wichtig sind (an dieser Stelle bitte einen Plagiatswitz eurer Wahl einsetzen, aber bitte mit Quellenangabe), so gibt es Dinge, die so aus der Masse der High- und Lowlights heraus ragen, dass sie hier einfach einzeln erwähnt werden sollten.
Ich rede hier von der ernsten Miene eines Arztes, der irgendwas von Arrhythmie erzählt. 
Ich selber habe nie die Erziehung einer Waldorfschule genossen und bezweifle auch heute noch Sinn und Zweck der Fähigkeit den eigenen Namen tanzen zu können. Ich vermute, dass jetzt meine gesamte Leserschaft in den Personalabteilungen des deutschen Mittelstandes Augen verdrehen und etwas von "Soft Skills" murmeln, allein ist mir in meinem bisherigen Berufsleben noch keine Situation untergekommen in der mein getanzter Name einen wesentlichen Verhandlungsvorteil gebracht hätte. 
Nachdem ich ca. 15 Minuten über Vor- und Nachteile der Eurythmie schwadroniert hatte, unterbrach mich der Arzt um dieses grauenhafte Wortspiel zu beenden. Ich hatte offensichtlich massive Herzrhythmusstörungen, die der sofortigen Aufmerksamkeit eines geschulten Teams von Medizinern bedurften. Der darauf folgende Behandlungsmarathon mit den unterschiedlichsten Behandlungsmethoden (seltsamerweise beinhalten die meisten dieser Methoden elektrischen Strom. Da ich weder im Biologie- noch im Physikunterricht richtig aufgepasst habe, hat sich mir der Zusammenhang erst nach längeren Erklärungen mit kruden Zeichnungen und einem possierlichen Stofftier namens Herbert Herzkammer erschlossen. Ich würde es in diesem Artikel erklären, aber ich habe gerade kein Stofftier da) zog sich über insgesamt 2 Monate und hatte zur Folge, dass ich meinen 40. Geburtstag mit Wasser begoss (an dieser Stelle nochmal danke an alle die da und auch nach 23 Uhr noch der Muttersprache mächtig waren und mich nicht versuchten auf "EIN SCHNÄPPSCHEN GEHT DOCH!" einzuladen) .
Aber unabhängig von den Strapazen und Unannehmlichkeiten bedeutet so eine Diagnose vor allem eines: Der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Endlich ist Mann in den mittleren Jahren angekommen und in der Midlife Crisis gelandet. Ich hätte persönlich hätte mir auch lieber eine Harley gekauft, aber sowas zahlt die Kasse ja nicht. Oder nen Segelschein, aber ich glaube so etwas ist einfach nicht Rock'n'Roll genug für eine Midlife Crisis. Aber endlich dürfte man Herrenwitze erzählen, die einem Herrn Brüderle die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Endlich dürfte ich mir ein Auto mit Sitzheizung kaufen. Endlich dürfte ich über die Musik in den Top Ten die Nase rümpfen und dabei den ewigen Generationskonflikt heraufbeschwören. 
Andererseits müsste ich nun auch auf Ü40 Parties gehen (bei Ü30 Parties wird man ja schon als welker Sexgreis betrachtet). Von meinen Erlebnissen auf einer Studentenparty werde ich in einem anderen Artikel berichten müssen. 
Die erste Diagnose ist nun anderthalb Jahre her und mir wurde mit vielen Fachvokabeln erklärt, dass ich ja nun geheilt wäre und mein Herz auf ewig im Sinusrhythmus schlagen würde. Das ist eigentlich so als hätte man gerade die Unsterblichkeit verliehen bekommen. Unbesiegbar, unsterblich und unvernünftig verließ ich damals das Krankenhaus und freute mich auf das erste Bier in acht Monaten. Seitdem habe ich bestimmt alles andere als gesund gelebt, aber das war ja auch gar nicht nötig. Ich war ja unsterblich. Das wurde mir jetzt nochmals bestätigt, als ich erneut ca 6 Wochen mit unbehandelten Herzrhythmusstörungen durchs Leben ging. Laien wie Fachleute waren perplex und wussten sich das nicht zu erklären. Was für ein unglaublicher Herzmuskel muss in dieser unbehaarten Brust schlagen? 
"Sie haben nichts davon gemerkt???" - Natürlich nicht. Warum sollte ich? Ich bin doch unsterblich. 
Das alles ändert nichts an der Tatsache, dass ich scheinbar tatsächlich im "mittleren Alter" angekommen bin. Mit allen Vor- und Nachteilen. (Wobei die Liste der Vorteile im Moment noch reichlich kurz ist).
Das ändert auch nichts an der Tatsache, dass ich in der Cafeteria des Krankenhauses sitze und diese Zeilen schreibe. Die Cafeteria heißt "Heart-Rock Café". Da fand ich mein Arrhythmie/Eurythmie Wortspiel irgendwie besser.

PS: Mir ist bewusst, dass Eurythmie mehr beinhaltet, als den eigenen Namen tanzen zu können, aber auch diese zusätzlichen Inhalte würde in einem Vorstellungsgespräch mit mir nicht die Einstellungschance erhöhen. 


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