Samstag, 6. Juli 2013

Umzug

Da ich ja entgegen eigener Aussagen eine Trendhure bin, bin ich jetzt zu Wordpress umgezogen.

Die neue Adresse lautet: https://brotherwrong.wordpress.com/

Man möge mir mein flatterhaftes Wesen verzeihen.


Herzmarketing

Als ich gestern in meiner neuen Stammkneipe "Heart Rock Café" saß und zwei guten Freundinnen von meinem heldenhaften Kampf gegen die Unbillen des Lebens im Allgemeinen und die Herz-Arrhythmie  im Besonderen erzählte ("eigentlich halb so wild, passiert jeden Tag zigtausendfach, aber ich war trotzdem ganz schön heldenhaft") und die Details einer Kardioversion schilderte (Ich gebe zu, ich habe den Verlauf vielleicht etwas dramatisiert, aber was weiß ich schon vom Ablauf einer Kardioversion? Ich war doch jedesmal im Feenland auf einem Regenbogen-kackenden Einhorn unterwegs) und ich die Damen eigentlich schon allein aufgrund der Eloquenz meiner Berichterstattung kurz vor dem Zustand sexueller Raserei hatte, beugte sich ein Notebook bewehrter fast schon schablonenhaft klassischer Vertreter (oder "Sales Roadwarrior" wie sich so mancher glorifizierter Klinkenputzer heute gerne selbst-verliebt nennt) zu uns herüber und eröffnete das Gespräch mit dem folgenden Satz: "ich habe gerade unfreiwillig ihrem Gespräch gelauscht und ich hätte da was für Sie." 
"Unfreiwillig"? Was wurde mir hier unterstellt? Dass ich dem Mann mit meiner penetranten Lautstärke eine Abenteuergeschichte reinster Lupe aufgezwängt hatte? Ohne weitere Entschuldigung wurde uns ein Flyer der Firma ZOLL auf den Tisch geknallt. "Können Sie ja mal mit Ihrem Arzt besprechen", blinzelte mir der Handlungsreisende verschwörerisch zu und suchte wieder Deckung hinter seinem aufgeklappten Laptop. 
Nun bin ich ja jemand, der ein geschickt eingeläutetes Verkaufsgespräch zu schätzen weiß. Wenn mir obendrein noch ohne größere Erklärungen eine Broschüre überreicht wird, die mir das Produkt ganz ohne Vertriebs-Sprech näherbringen will, bin ich natürlich endgültig Feuer und Flamme, zumal der Mann uns doch eindeutig zu verstehen gegeben hatte, aufgrund unseres Gespräches das ideale Produkt für mich parat zu haben. Also möchte ich hier kurz auf das Produkt näher eingehen. Das präsentierte Produkt trug den Namen "LifeVest" (Ja, mit Binnenmajuskel und zusammengeschrieben. Wie StudentInnen. Schauderhaft)

Die LifeVest der Firma ZOLL ist ein tragbarer Defibrillator, der diskret unter der Kleidung getragen wird. Als ich die dazugehörige Abbildung sah, wusste ich sofort, warum der Mann meinte, das Produkt sei wie für mich geschaffen. Wie ein Pistolenhalfter für eine .38 Smith & Wesson schmiegt sich die LifeVest an den wohltrainierten Körper (ich war überrascht wie detailgetreu mein Sixpack auf der Abbildung zu erkennen war). Doch etwas machte mich stutzig. Wie viele Herzpatienten mit einem gemeißelten Körper wie dem meinen waren wohl da draußen? Wie groß war der Markt für ein derartig spezielles Produkt. Als ich dann noch die weiteren Abbildungen in der Broschüre betrachtete, wurde mir schnell klar, dass die LifeVest wohl ursprünglich als Diätgerät (Electrical Muscle Stimulation) konzipiert war und man wahrscheinlich durch Hochschrauben der Leistung auch den undefinierten Körper als Kunden gewinnen wollte. 
Jedenfalls sollte die untenstehende Abbildung verdeutlichen, dass man die LifeVest ganz diskret unten drunter tragen konnte. Niemand würde ahnen, dass man eigentlich einen Stammplatz auf des Todes Schippe hätte. Also fast niemand.
Abb. 1: LifeVest - Der Defibrillator für den durchtrainierten Bodyguard
Ignorieren Sie also bitte das Steuergerät am Gürtel oder kleben Sie einen "Sony Walkman" Sticker darauf. So sind Sie auf einen Schlag (hihi!) Retro und sind auch bei den jungen Leuten wieder "voll angesagt". Die Funktion ist relativ selbsterklärend. Im Fall der Arrhythmie (schlechte Wortspiele zu diesem Thema gab es bereits in einem früheren Artikel), gibt's einen mit dem Elektropaddel um den Herzmuskel. Dieser Automatismus führte sofort zu meiner ersten Frage an den Cardio-Kaufmann. Betrachten wir zunächst Abb.2 dieses Artikels:  
Abb.2 "Gleich kracht's, Du Schürzenjäger!"

Zunächst fiel mir natürlich die Enttäuschung im Gesicht des abgebildeten Herrn auf. Wollte er auch einen Sony Walkman oder ist er nur niedergeschlagen weil seine Begleitung so viel sportlicher daher kommt als er? Er scheint zu sagen: "Böh... doof. Ich wollte auch so ein Technikspielzeug". Denn wir Männer sind letztendlich doch alle gleich. Zumindest in dieser Angelegenheit. Wenn etwas aussieht, als wäre es bei Saturn erhältlich, wollen wir es haben. Es darf nur nicht ZU sehr nach Weißware aussehen, wobei es wirklich sehr männliche Kühlschränke gibt (so mit Eiswürfel-Maker und speziellem Bierfach). Waschmaschinen und Trockner brauchen schon mindestens Internetzugang um überhaupt von Männern wahrgenommen zu werden. 
Aber meine Frage beruhte mehr auf dem leicht schuldvollen Blick des Herrn und der fast schon mit diebischer Freude zu beschreibende Blick der Dame. Findet hier gleich einer der ältesten Scherzartikel den Weg in die Neuzeit? Ist die Stehfrisur des Herrn Zeuge vorheriger Fotoshootings? 
Abb.2: Früher wusste man noch zu feiern!
Ich musste es genauer wissen. Ich deutete auf die Fotografie und fragte den Vertriebsleiter Ruhrgebiet-West der Firma ZOLL, ob dieses Bild nicht missverständlich sei und ob so ein Scherz denn nicht schmerzhaft UND gefährlich werden könnte. 
"Ahahaha", künstelte der Sales-Profi, "das Gerät gibt nur dann einen Schock ab, wenn der Patient ohnmächtig ist." 
Auf die Frage, woher das Gerät denn wisse, wann die Ohnmacht eingetreten sei, verwies er auf eine Art "Tote-Mann-Taste". Erneut warf ich ihm Irreführung, Sexismus und auch ein wenig Geschmacklosigkeit vor. Wäre hier nicht vielleicht eine elegantere oder zumindest weniger negativ konnotierte Namensgebung angebrachter? Insbesondere im Lichte der versprochenen lebensrettenden Eigenschaft seines Produktes "LifeVest". Es hieß ja auch nicht "Dead Man's Vest", was wiederum rein Marketingtechnisch ein absoluter Selbstläufer wäre. 
Meine kostenlosen Tipps in dieser Hinsicht wurden aber nur mit einem irritierten Blick abgetan. (Undankbarer Patron!). Er fuhr kommentarlos fort, dass der Patient bei der Feststellung einer Arrhythmie vom Gerät dazu aufgefordert würde diese Taste zu drücken. Wird diese Taste dann während einer Arrhythmie losgelassen, entfaltet die LifeVest ihren ganzen Zauber. 
Ich zitiere aus der Infobroschüre: 
"Für umstehende Personen hörbare Warnung: 'Den Patienten nicht berühren' oder 'Umstehende Personen dürfen nicht eingreifen'" 
Fast erwartet man, dass aus dem Sony Walkman eine Schutzmann-Attrappe fährt und die gesamte Szenerie vollautomatisch mit Flatterband abgesperrt wird.

An diesem Feature fielen mir aber zunächst zwei andere Dinge auf: Da wäre zuerst einmal das Wörtchen "oder". 
Wie bestimmt das Gerät, welche Floskel angebrachter ist? Zum Beispiel bei einer Dinnerparty des Vorgesetzten des LifeVest-Trägers erscheint "Den Patienten nicht berühren" zu direkt, ja geradezu schon persönlich. Es wirkt, als unterstelle das Gerät den Zeugen des Geschehens versuchten Taschendiebstahl oder gar Nekrophilie. (Eine Störung der Totenruhe darf aber aufgrund der "LifeVest"-Ansage wohl nur in den seltensten Fällen anzunehmen sein.
Kurzum: In einer solchen gesellschaftlich diffizilen Situation wäre wohl die zweite Variante höflicher und weniger anmaßend. 

Allerdings weist auch diese Variante gewisse Schwächen in der Formulierung auf und könnte zu Fehlverhalten der Anwesenden führen. Was ist denn, wenn sich trotz gehobenem sozialen Event, nekrophile Taschendiebe unter den Gästen befinden, die sich (mangels einer aus fehlgeleiteter sozialer Unbehaglichkeit unterlassenen entsprechenden Ansage des Gerätes) sofort rücksichtslos am vermeintlichen Leichnam zu schaffen machen. Die "umstehenden Personen" könnten die Autorität des Gerätes überbewerten und die potentiellen Leichenschänder gewähren lassen und eben "nicht eingreifen". Schließlich hat ihnen das eine entsprechende Durchsage des Sony Walkmans, den die gerade scheinbar dahingeschiedenen Chefsekretärin der Personalabteilung am Gürtel trägt, mit fester elektronischer Stimme eingebläut. 
Da aber laut Broschüre, der nächste Schritt in der Behandlungssequenz bereits "7. Behandlungsschock" ist, würden die Missetäter schnell ihr blaues Wunder erleben, wenn der vermeintlich hilflosen Person plötzlich mehrere tausend Volt durch den Körper schießen. Insofern kann man die Bedenken hinsichtlich der zweiten Variante der Warnansage außer acht lassen. Der Patient trägt schließlich einen sehr potenten Diebstahlschutz. 

Geht man nun davon aus, dass das Produkt nicht mit einer künstlichen Intelligenz ausgestattet ist, die soziale Anlässe erkennen und auf ihre potentielle Peinlichkeit analysieren kann, bleibt nur noch eine Konfiguration durch den Anwender. Ich fragte also den Verkäufer, ob vielleicht nicht doch eine Art Zufallsgenerator die abzugebende Warnung wählt oder ob der Träger der LifeVest die Wahl eigenverantwortlich vornehmen müsse. 
Und wenn man schon selbst Hand anlegen müsse, ob man denn vielleicht auch andere Ansagen verwenden könne. Vielleicht könnte man so etwas wie Klingeltöne von der Webseite des Herstellers herunterladen. Oder ob man vielleicht analog dazu wie man einst lustige Anrufbeantworteransagen selbst erstellen konnte, man nun die LifeVest mit humorigen Warnrufen versehen könnte. "Bitte halten Sie Abstand, wir sind gleich wieder für Sie da"?, "Achtung! In wenigen Sekunden werde ich einen neuen Rekordversuch im Breakdance vornehmen!" oder auch "Es ist Kindern nicht gestattet, während der Defibrillation auf mir zu reiten". Oder man könnte lustige Promistimmen verwenden: Kaiser Franz: "Ja äh gut äh jetzt kommt halt ein Stromstoss! Den muss er reinmachen" oder irgendwie was mit Angela Merkel oder so. Jedenfalls ist das humoristische Potential scheinbar endlos und ich bin mir sicher, hier kann man noch viel Geld verdienen. 

Auch diesbezüglich ernteten meine Vorschläge nur einen eher verwirrten, fast schon angewiderten Blick des Händlers. Meine Begleitungen hatten ihre ursprüngliches Interesse an dem Produkt jedenfalls verloren, suchten sie doch auffällig in ihren Handtaschen und unter dem Tisch nach etwas wonach Frauen scheinbar ständig suchen, wenn Männer über Technik fachsimpeln.

Wie oben erwähnt, waren mir aber zwei Dinge an Punkt 6 der Behandlungssequenz aufgefallen:
"Für umstehende Personen hörbare Warnung: 'Den Patienten nicht berühren' oder 'Umstehende Personen dürfen nicht eingreifen'".
Ich fand den Zusatz "Für umstehende Personen hörbar" eigentlich überflüssig. Ich versuchte mich in den Verfasser der Bahndlungssequenz zu versetzen. Warum dieser Zusatz? Mir wurde schnell klar, dass auch hier wieder der bereits oben vermutete Scherzartikel-Aspekt ausgeschlossen werden sollte. Mir war zwar durchaus bewusst, dass die Kardiologie eine weitgehend trostlose und oft auch blutige Angelegenheit ist, aber dass sie so ohne jeden Humor auskommen musste, stimmte mich fast schon ein bisschen traurig. 
Wie viele Anekdoten an Stammtischen, auf Kegeltouren und Gartenfesten könnten mit den folgenden Worten beginnen: "Ach Elsbeth, weisse noch wiede den Herzkasper hattest und dein Walkman irgendwat genuschelt hat? Und ich dusselige Kuh halt noch mein Ohr an dat Teil. Die Frisur hattich aaacht Wochen, hömma!"? 
Wäre so ein Abend nicht direkt viel freudvoller? Viel kommunikativer? Man hätte doch praktisch immer eine Geschichte auf der Pfanne und immer was zu lachen. 

Aber wie gesagt: Kardiologen sind ein humorloser Haufen.

Inzwischen waren meine Begleiterinnen schon seit längerem gemeinsam auf der Toilette (was treiben die Weiber da immer so lange? Niemand braucht 45 Minuten zum Pinkeln) und der Vertreter der Firma ZOLL wirkte etwas nervös. 
Zu seiner sichtlichen Freude erschien aber kurz darauf ein Repräsentant des an das "Heart Rock Café" angeschlossenen Krankenhauses. Mein neuer Vertrauter im Kardio-Geschäft schien sehr erpicht darauf, das anstehende Geschäftsgespräch zu führen, schlug aber einen Ortswechsel vor, da "hier so viele Spinner rumhängen". 

Ich werde mir auf jeden Fall eine LifeVest bestellen. Vielleicht kann ich ja über meinen neuen Bekannten direkt noch ein Abo für die neuen Ansagen raus schlagen. Und wenn ich keine Arrhythmie mehr habe, kann ich ja die Spannung runterdrehen und noch ein bisschen Electro-Body-Forming machen.